BFH: Richtsatzsammlung unbrauchbar

Euroscheine und Geldmünzen (Symbolbild)
Euroscheine und Geldmünzen“ von Christoph Scholz steht unter CC-BY-SA 2.0

Am 18. Juni 2025 hat der Bundesfinanzhof (BFH) ein deutliches Signal an die Finanzverwaltung gesendet: Die amtliche Richtsatzsammlung kann nicht länger als tragfähige Grundlage für pauschale Hinzuschätzungen dienen. Für Steuerberater und ihre Mandanten ist dieses Urteil von großer Bedeutung – insbesondere für bargeldintensive Branchen wie Gastronomie, Einzelhandel oder Diskotheken.

Hintergrund des Falls

Der Kläger betrieb in den Streitjahren 2013 und 2014 eine Diskothek in Hamburg. Aufgrund formeller Mängel in der Kassenführung verwarf das Finanzamt die Buchführung und nahm Hinzuschätzungen vor – unter anderem auf Basis der amtlichen Richtsatzsammlung für die Gastronomie. Das Finanzgericht Hamburg bestätigte diese Vorgehensweise. Der BFH jedoch hob das Urteil auf und verwies den Fall zurück.

Kernaussagen des BFH-Urteils

  • Kassenmängel entwerten die Buchführung: Bei überwiegend baren Einnahmen können formelle Mängel in der Kassenführung die gesamte Buchführung als nicht ordnungsgemäß erscheinen lassen. Eine Schätzung ist dann grundsätzlich zulässig.
  • Methodenwahl unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen: Zwar sind Finanzamt und Finanzgericht in der Wahl ihrer Schätzungsmethoden frei, doch müssen sie die genaueste Methode wählen. Der innere Betriebsvergleich ist dabei regelmäßig dem äußeren Betriebsvergleich vorzuziehen.
  • Begründungspflicht bei Schätzungen: Jede Hinzuschätzung muss nachvollziehbar und transparent begründet werden. Eine fehlende oder unzureichende Begründung stellt einen sachlich-rechtlichen Mangel dar.
  • Kritik an der Richtsatzsammlung: Der BFH äußert erhebliche Zweifel an der statistischen Belastbarkeit der amtlichen Richtsatzsammlung. Sie kann zwar als Orientierung dienen, reicht aber nicht aus, um ohne weitere Prüfung eine belastbare Schätzung zu stützen.
  • Vorwurf des „selection bias“: Besonders deutlich kritisiert der BFH die Auswahl der Betriebe, die in die Richtsatzsammlung einfließen. Die Finanzverwaltung greife bevorzugt auf steuerlich unauffällige Unternehmen zurück, was zu einem systematischen Auswahlfehler („selection bias“) führe. Dadurch entstehe ein verzerrtes Bild der Branchenrealität, das für belastbare Schätzungen ungeeignet sei.
  • Externe Datenbanken nur eingeschränkt verwertbar: Auch nicht-öffentliche Datenbanken dürfen verwendet werden. Können jedoch Rückfragen zur Datengrundlage nicht beantwortet werden – etwa aus Gründen des Steuergeheimnisses – sinkt ihr Beweiswert erheblich.

Bedeutung für die Praxis

Für Steuerberater und Unternehmen ergeben sich aus dem Urteil folgende Konsequenzen:

  • Richtsätze sind keine Allzweckwaffe: Die Richtsatzsammlung verliert ihre Funktion als pauschale Schätzgrundlage. Ihre Anwendung muss nun kritisch hinterfragt und individuell begründet werden.
  • Saubere Kassenführung bleibt essenziell: Wer mit Bargeld arbeitet, muss die Kassenführung besonders sorgfältig dokumentieren. Offene Ladenkassen sind weiterhin zulässig, aber risikobehaftet.
  • Interne Kennzahlen gewinnen an Bedeutung: Der innere Betriebsvergleich – etwa durch Auswertung eigener Wareneinsatzquoten oder Umsatzentwicklungen – wird zur bevorzugten Schätzmethode.
  • Transparenz schützt vor Willkür: Steuerpflichtige sollten bei Betriebsprüfungen auf eine nachvollziehbare Dokumentation achten und gegebenenfalls eigene Vergleichsrechnungen vorlegen.

Fazit

Das Urteil des BFH ist ein Meilenstein für die Praxis der steuerlichen Betriebsprüfung bei bargeldintensiven Betrieben. Es stärkt die Rechte der Steuerpflichtigen und fordert von der Finanzverwaltung mehr Präzision und Transparenz. Für Steuerberater bedeutet das: Die individuelle Beratung und die sorgfältige Dokumentation der betrieblichen Abläufe sind wichtiger denn je.

Wenn Sie Fragen zur Kassenführung oder anlässlich einer Betriebsprüfung haben, sprechen Sie uns gerne an – wir unterstützen Sie kompetent und praxisnah.

→ Bundesfinanzhof, Urteil vom 18. Juni 2025 – X R 19/21